SEIT 2021

Matthäikirchhof

Das Areal des Matthäikirchhofs in der Innenstadt soll in den nächsten Jahren umgestaltet werden. Dazu fanden 2021 zahlreiche Informationsveranstaltungen statt. Auch Workshops, bei denen aber nur ein ausgewählter Teilnehmerkreis dabei sein durfte. Wir nicht!

Wenn man über den Promenadenring zur Max-Klinger-Treppe aufschaut, sieht man einen mächtigen Neubaukomplex des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der heute für verschiedene städtische und private Büros genutzt wird. Bis 1943 war der Anblick schöner. Beiderseits Wohn- und Geschäftshäuser, zur rechten Hand erhob sich die Matthäikirche von 1488. Durch die Luftangriffe am 4. Dezember 1943 wurde viel zerstört. Und zur großen Stadtfeier im Jahr 2015, als man die 1000-jährige urkundliche Ersterwähnung von Leipzig feierte, wurde erneut hingewiesen, dass sich hier einst die Keimzelle der „urbs libzi“ befand. Auf dem geräumten Areal wurde 1980 bis 1985 für Volkspolizei und Staatssicherheit ein Neubaukomplex im häufig angewandten Industriebausystem des Vereinheitlichen Geschossbaus (VGB) errichtet, dessen architektonischer Wert nicht zuzusprechen ist. Unter völliger Missachtung verträglicher städtebaulicher und stadtgestalterischer Bezüge – eine Demonstration der Macht, eine betonierte Respektlosigkeit gegenüber dem Ort und seiner Geschichte, ein Fremdkörper im Raum.

Die Stadt Leipzig als Eigentümer des Areals schreibt auf ihrer Projektseite: „Das mit einer Gesamtfläche von 1,9 Hektar große, weitgehend ungenutzte Areal des Matthäikirchhofs soll städtebaulich und inhaltlich zu einem nutzungsgemischten, urbanen Quartier mit besonderen öffentlichen Funktionen entwickelt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Entscheidung des Bundes zum Neubau eines zentralen Archivs für die sächsischen Stasi-Unterlagen auf dem Gelände der ehemaligen “Stasi-Zentrale” Leipzig und die Idee zu einem “Forum für Freiheit und Bürgerrechte”. Weiter heißt es, dass neben einem städtebaulichen Wettbewerb eine umfassende Bürgerbeteiligung vorgesehen ist. Aber eben nur „vorgesehen“. Es fanden über das Jahr 2021 mehrere Veranstaltungen statt, ein Auftakt, eine Fachdiskussion mit dem Zentrum für Baukultur, dem auch unser Sprecher Stefan Riedel beiwohnte, aber auch vier Fachwerkstätten, an denen 60 Personen mitwirken durften. Nun muss man sich das aber so vorstellen, dass es ein Anmelde- und Losverfahren seitens der Stadt Leipzig gab, soweit erstmal in Ordnung. Aber (!), es durften nur 20 „normale“ Bürgerinnen und Bürger teilnehmen – Anmeldungen dafür gab es 70. Immerhin wurde ausgewählt, ob sie beispielsweise einem Verein angehören. Die 40 übrigen Personen waren Fachleute aus verschiedenen Kreisen. Auch das Stadtforum Leipzig bewarb sich, vergebens. Es folgten Aktionstage, Ausstellungen und Führungen. Umfassend war also die Öffentlichkeitsbeteiligung, aber die direkte Beteiligung am Prozess mitzuwirken, eher nicht. Wird die Stadt Leipzig doch deutschlandweit für Ihre Bürgerbeteiligung gelobt. Im Frühjahr 2022 soll dann die Abschlussveranstaltung stattfinden.

In unserem am 1. Oktober 2021 veröffentlichten Offenen Brief, gemeinsam mit der Initiative Leipziger Architekten (ILA), bestehend aus Mitgliedern des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), des Bundes Deutscher Baumeister (BDB), des Leipzig Architektur und Kulturvereins e. V. (LEV) sowie der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e. V. (SRL), dem Bürgerverein Pro Leipzig e. V. und Bürgerverein Waldstraßenviertel e. V., ist der Winkel an der Großen Fleischergasse desolat, mit seinem Abriss rechnet wohl selbst die Stadtverwaltung. Um einen qualitätsvollen Neuanfang zu ermöglichen, ist auch der Abbruch des Resttraktes zwingend, da er dem hohen Revitalisierungsanspruch dieses Viertels unter allen Aspekten entgegensteht:

  • erhebliche Einschränkung der Flexibilität der Neuplanung
  • defizitäre städtebauliche Lage
  • ausgeprägte Barrierewirkung besonders in Bezug zur Treppenanlage des Richard-Wagner-Denkmals
  • ebenso strukturstörend: die 1,5 Meter hohe Sockelzone des Erdgeschosses
  • überdies bedeutet der Erhalt unkalkulierbare, jedenfalls exorbitante Umbau- und Sanierungskosten

Der Wert der politischen Erinnerung des nur rund vier Jahre genutzten Stasikomplexes ist mit dessen Beseitigung nicht gelöscht. Diese Geschichte kann auch mit dem Erhalt typischer Elemente erzählbar bleiben, so Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, in der Auftaktveranstaltung zum „öffentlichen Beteiligungsprozess“ zur Entwicklung des Matthäikirchhofs am 19. April 2021.


Das begriffliche und lokale Symbol des Stasi-Standorts ist und bleibt die “Runde Ecke”. Der für 2023 vorgesehene Wettbewerb zur städtebaulichen Neustrukturierung des Matthäikirchhofs, der Keimzelle der Stadt, sollte nach eingehender öffentlicher Diskussion der Aufgabenstellung unbedingt als offener Architektenwettbewerb durchgeführt werden, um die größtmögliche Bandbreite von Lösungsvorschlägen zu erreichen.

Das Areal im gegenwärtigen Zustand.

Eingegrenzt vom Goerdelerring, Großer Blumenberg, Großer Fleischergasse und Runder Ecke.

Der Innenhof vom Stasi-Komplex. (2019)

Dazu gehören auch Garagenhöfe. (2019)

Blick vom Dittrichring aus. (2019)

An der Großen Fleischergasse mit davor liegendem Parkplatz. (2019)