2005

Kleine Funkenburg

Das spätklassizistische Gebäude “Kleine Funkenburg” am Ranstädter Steinweg war eins unserer ersten Projekte. Das Kulturdenkmal ist dem vierspurigen Ausbau zum Opfer gefallen, hätte jedoch stehen bleiben können. Die Stadt Leipzig wollte dies nicht, zahlreiche Bürger schon.

Wir haben uns im Frühjahr 2005 intensiv für den Erhalt der Kleinen Funkenburg eingesetzt. Mit dem Abriss des spätklassizistischen Gebäudes ging im selben Jahr ein bedeutendes Kulturdenkmal verloren. Der Grund für den Abriss war eine Straßenverbreiterung der Jahnallee (heute ein Teil vom Ranstädter Steinweg). Das Gebäude hätte trotz einem vierspurigen Ausbau stehen bleiben können und dem dorthin verlegten Elstermühlgraben hätte unter dem Gebäude zu keinem Problem geführt und wäre sogar eine Attraktion gewesen. Es gab einen spontanen Protest vom Stadtforum, der für einen Abrissstopp sorgte. Aber es half alles nichts. Heute ist die Brachfläche vom benachbarten Lokal genutzt.

Geschichte

Die Architektur des Klassizismus war Wegbereiter für die Moderne. Schinkel, von Klenze, Weinbrenner oder Semper – große Namen prägten diese Epoche. Zwischen Mitte des 18. Jahrhunderts und Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten die Architekten in Deutschland neue Ausdrucksformen: Sie wollten einem Stil schaffen, der einer bürgerlich, aufgeklärten Gesellschaft angemessen ist. Gleichzeitig suchten sie nach adäquaten Formen, die der Zeit zu Beginn der Industrialisierung und des Kapitalismus entsprechen.

Wichtiger Zeitzeuge

Die spätklassizistische Kleine Funkenburg gehört in Sachsen zu den wenigen Wohnhäusern, die aus der Zeit und in dieser Größe erhalten sind. Das Gebäude wurde 1850 durch den Bierfabrikanten Naumann erbaut. In seiner zurückhaltenden Fassadengestaltung und der strengen Gliederung erinnert es an einen Palazzo der italienischen Frührenaissance. Dagegen bestimmt vornehme Eleganz das Innere des Hauses: ein grandios geschwungenes Treppenhaus, bemerkenswerte Stuckdecken und aufwändig gestaltete Dielenfußböden. Sie sind im Original zu Bestaunen!

Charakteristischer Blickfang

Städtebaulich markiert die Kleine Funkenburg den Endpunkt der Ranstädter Vorstadt und verweist auf das Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Wachstum Leipzigs. Gemeinsam mit den angrenzenden Häusern und dem vorgelagerten dreieckigen Platz entstand ein stadtbildprägendes Ensemble. Heute ist das aus der Bauflucht vorspringende Gebäude wichtiges Spannungs- und Gliederungselement der mittleren Jahnallee. Das Eckhaus ragt einige Meter in den Straßenraum hinein und wird damit zum angenehmen Orientierungspunkt in der geradlinig verlaufenden Magistrale. Mit dem Ausbau der Jahnallee sollen diese wenigen Meter der Kleinen Funkenburg zum Verhängnis werden. 

Opfer der Verkehrsplanung

Mehrere klare Äußerungen des Landesamtes für Denkmalschutz betonen den historischen Wert der Kleinen Funkenburg und stuften es als Kulturdenkmal mit überregionaler Bedeutung ein. Die Stadtverwaltung setzte sich über diese Vorgaben hinweg und plante einen Verkehrsweg nach rein technischen Parametern. Der Stadtrat beschloss den Abriss der Kleinen Funkenburg. Das Veto des Denkmalschutzes oder Kriterien wie der Erhalt der Identität der Stadt oder ihrer Lebensqualität fanden keine Beachtung.

Zukunftsperspektiven

150 Jahre hielt die „Kleine Funkenburg“ allem stand: dem Wachstum der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, den Bomben des II. Weltkriegs und dem Sozialismus mit seinen zerstörerischen stadtplanerischen Visionen. Und nun? Für eine neue Haltestelle der Straßenbahn soll das Kulturdenkmal sterben. Weder der kulturhistorische Wert des spätklassizistischen Gebäudes noch alternativen Planungen wurden bei dem Planfeststellungsverfahren ausreichend gewürdigt. Dabei gibt es überzeugende Lösungen. Sie vereinen die Freilegung des Elstermühlgrabens und die Optimierung des Verkehrsflusses der Jahnallee, ohne die Funkenburg zu opfern. 

Zugunsten des Stadtbilds

Um die „Kleine Funkenburg“ zu erhalten, könnte der Elstermühlgraben unterirdisch um das Haus herum geführt werden. Das Ensemble aus freigelegtem Fluss, Gebäude und vorlagerten dreieckigen Platz würde einen charakteristischen urbanen Ruhepunkt bilden – mit Qualität zum Verweilen und Entspannen. Die bauliche Situation von 1813 ließe sich wieder nachvollziehen. An der Ranstädter Brücke endete die Vorstadt und begann die Innenstadt. Die städtischen Baukosten liegen bei dieser Alternativplanung etwas höher. Der veranschlagte Aufwand für eine Sanierung der Funkenburg verändert sich nicht.

Wirtschaftlich tragfähig

Eine weitere Alternative ist die Unterquerung der Funkenburg. Technisch ist dies unproblematisch. Das bestätigt eine Untersuchung, die im Auftrag des Umweltamtes durch Ecosystem Saxonia durchgeführte wurde. Der Eingriff für das Haus wäre allerdings erheblich. Aber er führt nicht zur Zerstörung der wesentlichen Denkmalswerte. Neben den normalen Sanierungskosten des Hauses entsteht ein Mehraufwand. Die vom Ortskuratorium der Deutschen Stiftung Denkmalschutz veranlasste Kostenschätzung und Ertragswertberechnung belegt jedoch, dass sich das Konzept wirtschaftlich trägt. Ein zukünftiger Nutzer ist bereits in Sicht. 

Eingebettet in die Stadt

Die unterirdische Verlegung des Elstermühlgrabens an der Jahnallee wäre nicht der einzige Kompromiss, der zugunsten der heutigen Stadtstruktur geschlossen würde. Auch anderorts gibt die Entwicklung Leipzigs Bedingungen vor, die die Gestaltung des neuen Flusslaufs bestimmen. Bestes Beispiel: das Bundesverwaltungsgericht. Die vom Stadtrat bestätigten Planungen lassen an der Jahnallee ebenso keine vollständige Freilegung des Flusses zu. Die Straße ist an dieser Stelle zu schmal. Zweieinhalb Meter breite Kragstege über den Elstermühlgraben bilden die Voraussetzung für den Bau des Fußweges.

Städtebauliche und verkehrliche Bewertung 

Prof. Dr.-Ing. Jürg Sulzer, Stiftungsprofessor für Stadtumbau und Stadtforschung an der Technischen Universität Dresden, analysiert die städtebauliche und verkehrliche Situation rund um die Kleine Funkenburg. Die Bedeutung des Gebäudes im stadträumlichen Ensemble wurde nach seiner Auffassung noch nicht ausreichend gewürdigt.

Abriss-Tagebuch

10. Mai 2005 – Aufruf zum Protest

Die Bildzeitung Leipzig druckte einen halbseitigen kritischen Artikel zum Abriss der Kleinen Funkenburg ab. Die Leipziger werden aufgerufen, mit einer Postkarte gegen den Mitte des Monats geplanten Abriss zu protestieren. 

17. Mai 2005 – Das Ende der Kleinen Funkenburg

14.00 Uhr begann der Abriss des Kulturdenkmals. Ein Bagger zerstörte das Dach. Das spätklassizistische Gebäude gehörte in Sachsen zu den wenigen Wohnhäusern, die aus der Zeit und in dieser Größe erhalten waren. 

18. Mai 2005 – Abriss der Kleinen Funkenburg vorläufig unterbrochen

Ab etwa 12.30 Uhr stand der Bagger still. Durch den spontanen Protest des Stadtforums Leipzigs war es gelungen, die Arbeiten zu unterbrechen. Das Stadtforum Leipzig rief auf, diese Aktion zu unterstützen, damit der Stadtrat in seiner Sitzung nochmals Gelegenheit hat, über die Kleine Funkenburg zu beraten. Auch wenn die Hoffnung äußerst gering war, den Abbruch zu stoppen, wollte das Stadtforum Leipzig ein klares Zeichen setzen. Es ging darum, der Stadtverwaltung zu zeigen, dass auch bei künftigen vergleichbaren Vorhaben mit starkem Widerstand zu rechnen ist.

19. Mai 2005 – Endgültiges Aus der Kleine Funkenburg steht bevor

Zwischen 7.00 Uhr und 9.30 Uhr konnte durch eine kleine Gruppe Protestierender der weitere Abriss aufgehalten werden. Nachdem die Polizei das Gelände räumte, setzte der Bagger seine Arbeit fort. Alle Versuche von Herrn Gormsen, nochmals Verhandlungen mit der Stadt Leipzig bzw. der LWB herbeizuführen, schlugen fehl. 

27. Mai 2005 – Aus dem Stadtbild gelöscht

Nur zwei große Trümmerhaufen erinnern noch an die Kleine Funkenburg. Das Kulturdenkmal ist für die Stadt unwiederbringlich verloren. Das spätklassizistische Gebäude fiel wie das Henriette-Goldschmidt-Haus der aktuellen Verkehrsplanung der Stadtverwaltung zum Opfer. Diese rigorosen Eingriffe in den Denkmalsbestand und die historisch gewachsenen städtebaulichen Strukturen gefährden die Identität und Lebensqualität von Leipzig.